Seifenmanufaktur Linnea

10
Ja
Von Menschen mit Lamas ( oder wunderbares Marktleben)
10.01.2014 13:10

Frühes, wirklich, wirklich, grausam frühes Aufstehen, ist das, was alle Markttage vereint. Was elend genug ist, da man die Nacht davor eh immer mehr als bescheiden schläft. Und nun sitzt man gedanklich völlig unsortiert vor seinem Kaffee. Gleichzeitig rattert im Hintergrund meiner Hirnrinde ein „Norton-Anti-Virus-Programm“ und geht alle Kisten mit Waren noch mal durch.
Wenn man sich aber erst mal durch seine morgendliche Wattewolke durchgekämpft hat, dann ist alles schön und aufregend. Schnell fallen auch alle anderen aus dem Bett und richten sich vorzeigbar her. Kurzes Pseudofrühstück, der zweite Kaffee mehr im Stehen und Laufen und schon geht es los….

Die Atmosphäre nach der Ankunft ist etwas Besonderes. Eine gedämpfte Grundstimmung und gleichzeitig schwirren überall Leute rum wie Kolibris. Bekannte werden begrüßt, neue Gesichter beäugt, Stände aufgebaut, Sympathien abgesteckt und Waren ausgepackt. Die letzte halbe Stunde vor Marktöffnung baut sich eine leichte Aufregung auf. Meine Tochter lässt es sich nicht nehmen, noch mal alle Seifen durchzuschnuppern. Jedes Mal so, als ob sie das nicht schon an die hundert Mal gemacht hätte. Eine kurze Runde an die anderen Stände, Familie verscheucht und dann bin ich Marktfrau….ganz und gar.

Wenn ich Zeit habe, dann schau ich mich gern um und sortiere meine Kundschaft in Kategorien ein:
Zum einen haben wir die „Umrunder“.Die schauen meistens von Weiten und eh immer so, als wäre alles nie gut genug für sie. Fast immer erkennbar am Seidenhalstuch, der Krokolederimitathandtasche und dem spitzen Zug um die Mundwinkel herum. Sie sind glücklicherweise knapp gesät, sonst wären Magengeschwüre vorprogrammiert. Aber eigentlich tun sie mir leid! Sehen sie doch immer aus, als wären ihre ersten drei Vorhaben für diesen Tag geplatzt und nun befinden sie sich hier, als vierte und damit schlechteste Wahl.

Dann die Interessierten. Die sind fast immer überaus sympathisch und bringen erstaunlich viel Zeit und Geduld mit. Denen muss ich alles erklären. Genau. Detailreich. Und sie fragen immer weiter, ebenso genau und detailreich. Manchen Abend habe ich das Gefühl, als wäre mein Lächeln so einzementiert, dass es nur noch durch schweres Gerät zu entfernen ist. Selbst reden hören mag ich mich dann auch nicht mehr. Aber versteht mich nicht falsch: Nichts könnte schöner sein, als Interesse zu spüren, für das was man herstellt und auch andere Menschen dafür zu begeistern.

Die dritte Gruppe sind die Endsportjäger, zu denen ich mich wohl ebenfalls zählen muss. :)

Sie erstehen manches Mal sogar recht große Mengen, worauf ihr vorhergehendes Verhalten niemals hätte schließen lassen. Denn sie machen wenigstens drei Runden über den gesamten Markt, wobei man eigentlich das Gefühl hat, nur am Rande wahrgenommen zu werden. Bei Runde vier stehen sie im Allgemeinen länger an meinen Stand und lassen sich beraten und riechen mehrere Sachen durch. Als wollten sie einen in der beständigen Hoffnung lassen, dass sie nur noch ein Fingerschnippen vom Kauf entfernt sind. Einen laaaaangen Atemzug später entschuldigen sie sich für die Unannehmlichkeiten aber leider hätten sie nicht genügend Geld mit, kämen aber vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt zurück. Immer getrieben von dem Gedanken, woanders könnte noch etwas Besseres auf sie warten. Der Tag vergeht, du fängst an deine verbleibenden Waren einzupacken und hast sie schon längst abgeschrieben. Just in diesem Augenblick stehen sie vor dir, wedeln mit einem Schein und schauen gleichermaßen vorwurfsvoll und irritiert, warum du nach 10 Stunden schon ans Heimfahren denkst. Um dann das Geld (woher auch immer organisiert) bei dir komplett auszugeben. Nach jeder dieser Begegnungen lassen sie eine sowohl hocherfreute, wie auch grenzenlos erstaunte Seifendsiederin zurück.

Ein kleiner anstrengender Teil sind die Googler. Die haben alles schon mal gehört, gelesen und wissen über deinen Beruf natürlich bei weitem besser Bescheid, als du es jemals könntest. Steht doch alles im Internet, kann so schwer nicht sein. Aber mit ihnen müssen sich auch Ärzte, Lehrer, Köche und was weiß ich, wer noch alles rumschlagen. Es wäre eine verwegene ( verführerische, sollte hier stehen) Annahme gewesen zu glauben, dass ich von ihnen verschont bliebe.Zu ihnen gehören auch die Menschen, die immer kommen, um nur nach genau dem zu fragen, was du nicht hast. Wie wir wissen, das Leben ist kein Wunschkonzert. Eine Seifenmanufaktur anscheinend schon. Ich nehme es als Denkanstoß und sportliche Herausforderung. Und so tüftele ich momentan voller Hingabe an einem veganen, palmölfreien, ökologischen Seifenwunderwerk, das nach allen Düften des Orients riecht, aber nur rein ätherische Öle enthält und natürlich Kaffeepulver, damit die Hände sauber werden. Wir, einschließlich meiner Wenigkeit, sind auf das Ergebnis gespannt wie die Flitzebögen. :)

Die letzten sind die Sympathiekäufer.
Ein wunderbarer Menschenschlag vom selben Stamm. Künstler, die auf dem Markt sind, um die Atmosphäre aufzusaugen und sich inspirieren zu lassen, nicht um zu verkaufen. Musiker, die spontan für uns spielen. Andere haben deinen ewig hungrigen Magen knurren gehört und erretten dich spontan mit Keksen vor dem nahenden Schwächeanfall. (An der Stelle ein Dankeschön an Miss Nadelöhr für den steten Essensnachschub beim Weihnachtsmarkt kurz vor meinem sicheren Hungertod. Würstchen und Steak werden auch gern genommen, nur für den Fall, dass einer meiner edlen Spender das hier mal lesen sollte.) Hardcoreveganer, die ich durchaus gewöhnungsbedürftig, aber fast immer liebenswert finde, solange ich lieber die Kekse essen darf. (Vedisches Essen wird von meinem Körper im besten Fall als interessante Erfahrung gespeichert.) Ewige alte Jungfern, die dir im ersten Satz klar machen, was sie von Männern halten und dabei so lustig und unverbittert wirken, wie Schulmädchen. Töpferinnen, die mit bunten Kleidern und Unmengen von Tüchern geschmückt sind, als kämen sie direkt aus dem afrikanischen Busch. Und Menschen, mit Hunden, Katzen und Lamas als Haustieren, erzählen dir, wie angenehm ein Schal aus Hundewolle zu tragen ist. Schafe sind heutzutage anscheinend old-school.

Manche dieser Tage sind chaotisch, andere ziehen sich wie Kaugummi von der billigen Sorte, ein weiterer vergeht wie im Flug, der nächste könnte süchtig machen, zwei Wochen später möchte man verzweifeln. Nicht immer läuft alles wie geschmiert, selbst nicht bei Wunschkindern wie mir. Regen, schlechter Umsatz, wackelige Tischbeine, schokobeschmierte Kinderhände, und die größte Katastrophe von allen-kalter Kaffee… kommt alles vor. Kein Weltuntergang, sondern Einstellungssache.
Daher lasse ich zum Abschied Daniel Powter für mich sprechen mit „ My so called life“ besser vermag ich‘s auch nicht:

I've got it bad
you've got it even worse now
we put our heads together
and reverse the curse

so my so called life

Bis bald auf dem Markt

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