Stellt euch vor: Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, die Luft ist lau und verführt euch zu dem ersten Cappuccino in einem kleinen Straßencafé, schlechten Witzen und leichtfüßig guter Laune. Und leider auch zur ersten Modesünde in diesem Jahr.
Der Frühling ist eine schwierige Jahreszeit: Da schält man sich erstmalig wieder aus seinen Winterpullis, kramt voller unangebrachtem Optimismus seine luftigeren Klamotten aus dem Schrank und betet, betet .......und betet immer noch, dass es noch alles passen möge. Man schlüpft hinein, dreht sich im Spiegel und verfällt in dumpfes Brüten. Nun weiß ich in solchen Momenten nie, ob ich im letzten Jahr darin wirklich besser ausgesehen habe oder ob mir meine verschwommene Erinnerung an vergangene Sommerabende einfach einen Streich spielt. So oder so, für die Tür bekommt mich so keiner … Also wieder raus aus dem Albtraum und auf eine Neues.
Im zweiten Teil sehe ich aus, wie der Tod auf Latschen- mit winterlich hochpigmentierte Haut. Soll heißen, ich bin so blass, dass ich der Versuchung mir selbst den Puls zu fühlen kaum widerstehen kann. Ich erleide einen anämischen Schwächeanfall und setze mich hin. Ernsthaft denke ich über einen Schnaps nach. In den guten alten Zeiten hätte man Frauen wie mir einen Melissengeist empfohlen, mit 79 Umdrehungen mehr im Blut sehe die Welt jetzt sicher viel freundlicher aus.
Vielleicht ist es Zeit zum Schrank ausmisten? Ich versuche es. Ehrlich! Rede mir aber schon beim zweiten Teil ein, dass ich es GARANTIERT bald wieder anziehe, -sollte ich mich beispielsweise spontan verjüngen. Oder zum Fasching. Oder in spätestens 40 Jahren als fesche Omi im Retro-Look. Kommt ja alles wieder. Also alles wieder rein in den Schrank. Das wäre jetzt wohl die Gelegenheit zum Ordungschaffen. Schade, dass manch große Chance immer so ungenutzt an einem vorbei zieht. J Irgendwann hat der Jäger in mir dann doch erfolgreich Beute gemacht: Und nun bin ich bereit, fühle mich wie Grace Kelly in einem Film der 50 Jahre und schreite beseelt vom Tatendrang Richtung Stadtmitte. An der ersten Ampel schon werde ich stutzig. Vor mir ist ein junges Mädchen, bei dem mich der Eindruck überfällt, es hätte seine Hose vergessen. Als ich durch Schräglegen des Kopfes meine Blickrichtung ändere, erkenne ich dass es sich hier scheinbar um eine Leggins handelt- hautfarbend zu meinem Bedauern- und dank des hohen Stretchanteils leider auch durchsichtig. Unangenehm fühle ich mich an die Fleischerei an der Ecke erinnert.
Ha grün! Schnell am Bild des Schreckens vorüber, ab ins Café und dann entspannen. Die Augen halb geschlossen, tief durchgeatmet, das Leben kann so perf……..lautes Stuhlquietschen, herbes Kichern, Tassen klappern, der Geruch von fettgebackenen Kreppelchen. Ich öffne meine Augen und möchte sie gleich wieder schließen. Vor mir ein kolossaler Rücken in einem Trägerkleidchen. Die Riemchen drücken sich in Sadomaso-Manier in die Schultern meines Gegenübers und mein erster Gedanke ist: „Welch eine Verschwendung, hätte einer frühzeitig dieses Potenzial erkannt, hier vor mir hätte ich die neue Olympiasiegerin im Kugelstoßen!“ Ist es eigentlich legitim in der Öffentlichkeit zu weinen, also wegen sowas?
Überwältigt vom Schock mache ich mich auf in den Park und begebe mich zum Teich. Enten! Enten sind gut, da kann eigentlich nichts schiefgehen. Unter einer schönen Trauerweide lockt ein gemütliches Plätzchen. Mit dem Rücken am Baumstamm bin ich tief in mein Buch versunken, als ein Schatten auf mich fällt. Als Erstes sehe ich Sandalen und (natürlich, weil heute mein Glückstag ist) Sportsocken. Danach kommen ein paar magere Waden geschmückt von vielen, vielen Haaren und noch mehr blauen Adern. Eine viel zu kurze kuhfladenfarbende Hose und eine Jacke aus babyblauer Fallschirmseide (tatsächlich Fallschirmseide !!!) runden das Bild ab. Und wenn man dann denkt, man hat schon alles gesehen, naja…. Dieses Prachtexemplar vor mir verehrt anscheinend Heino. Die Augen verdeckt eine Sonnenbrille aus den 80igern Marke „Puck, die Stubenfliege“ und der Schopf wird gekrönt von gefärbten Haaren, deren Farbe mich eher an altes Eigelb, als an goldglänzende Strähnen erinnert. Aber nett ist der Mann. „Möchten sie auch die Enten füttern? Ich habe noch etwas Brot übrig“, fragt er mich. In Wahrheit bin ich so frustriert, dass ich das Brot am liebsten selber essen möchte, die Enten gleich auch.
Wohin ich auch schaue, überall das gleiche Bild: Achselshirts, Flipflops, Stirnbänder, Querstreifen, Jogginganzüge aus pinkfarbenem Frotteestoff. Wirklich nichts entstellt die Menschen mehr, als die ersten Sonnenstrahlen im Frühling. Gut nur, dass ich mich so perfekt vorbereitet habe.
Am nächsten Schaufenster dann trifft mich der Schlag: Die Sonne scheint von hinten … und ich stehe praktisch nackig da. Grundgütiger!! Zu Hause war der Rock blickdicht, ich schwöre es. Und nun? Im Boden versinken? Schreiend im Kreis laufen? Ach was! Ich setze mich zu einem Mann mit Hawaiihemd auf eine Bank und fühle mich hervorragend … schließlich befinde ich mich in bester Gesellschaft.